Wer sind Sie uns was sind Ihre genauen Aufgaben bei Thonet?
Mein Name ist Norbert Ruf und im Rahmen unserer Zwei-Geschäftsführung bei Thonet bin ich verantwortlich für die Bereiche Marke, Marketing, Produkt und auch das Qualitätsmanagement.
Was ist Ihr bisher liebstes Produkt, das Sie mit entwickeln durften?
Eine gute und schwierige Frage. Wir hatten natürlich das Glück, in den sechs Jahren, in denen wir mittlerweile bei Thonet sind, viele Produkte aus der Taufe heben zu dürfen. Sich nur für eins davon zu entscheiden, ist fast unfair gegenüber all den anderen Produkten. Deswegen würde ich mal zwei anführen.
Das eine wäre der 118 Holzstuhl, den wir mit Sebastian Herkner entwickelt haben. Auf seine Material-Identität bezogen, verkörpert der 118 Stuhl sehr gut die historische DNA von Thonet und interpretiert sie auf der anderen Seite dennoch sehr, sehr zeitgemäß. Damit greift der 118 typologisch ein sehr bekanntes Thema auf und ist zugleich ein sehr universelles, neues Produkt, das sowohl im Wohn- als auch im Objektbereich eingesetzt werden kann.
Das zweite Produkt ist der S 64 Atelier, eine Weiterentwicklung des klassischen Freischwingers und eine Antwort auf die Bedürfnisse im Markt nach mehr Agilität und Bewegungsfreiheit. Auch bei diesem Projekt haben wir uns mit historischen Vorbildern auseinandergesetzt. Denn damals, in den 30er Jahren, als das Produkt ursprünglich auf den Markt kam, gab es bereits Drehstühle. Die waren natürlich ganz anders als heutige Drehstühle konzipiert, aber grundsätzlich in ihrer Art und Weise so, dass sie Agilität zuließen.
Uns ging es darum, das Bedürfnis, das in der heutigen Arbeitskultur und auch im Home-Office-Bereich vorhanden ist, mit diesem Produkt zu realisieren und das Produkt vom Freischwinger hin zum Atelier-Drehstuhl zu bewegen.
Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür, dass Wohn- und Arbeitswelt immer mehr miteinander verschmelzen?
Arbeitswelten generell bzw. unser Blick auf das Thema Arbeiten waren eigentlich immer auf der einen Seite technischen Entwicklungen, auf der anderen Seite soziokulturellen Entwicklungen unterworfen. Und wenn man nicht nur die letzten ein, zwei Jahre betrachtet, sondern vielleicht die letzten 20-30 Jahre, sehen wir, dass der Zugewinn an Freiheit, gerade durch technische Rahmenbedingungen (Internet, WLAN oder mobile Endgeräte), gepaart mit einer soziokulturellen Entwicklung dahin, wie wir zum Beispiel Führung oder Teamarbeit verstehen, dazu geführt hat, dass wir auf das Thema Arbeiten an sich anders blicken.
Die Auswirkungen haben sich auch auf räumliche Strukturen erstreckt. Die Räume haben sich also aufgrund der Mobilität, die wir haben (z.B. kann ich zum Arbeiten an einen anderen Ort gehen als an meinen Schreibtisch), verändert. Denn mit dieser Möglichkeit der Auswahl des Ortes geht auch ein Bedürfnis nach einer veränderten Qualität der Räume einher. Und diese Qualität hat sich meiner Meinung nach insofern verändert, als dass wir uns von einem „terroristischen“ Arbeitsprinzip (also ich gehe an meinen Schreibtisch, an dem ich arbeiten muss, weil dort mein elektrischer und mein Datenzugang ist) wegbewegen und sich der Zugewinn an Freiheitsgraden über sympathischere, wohnlichere Strukturen abbildet.
Wie reagiert Thonet in puncto Design auf diesen Wandel?
Wir haben das große Glück, dass wir nur bedingt darauf reagieren müssen, wenn wir uns den Teil des Designs im informellen Bereich anschauen. Der große Vorteil ist, dass unsere Produkte aus ihrer Historie heraus, aus dem, wo wir herkommen, bereits in einer hybriden Welt veranlagt sind. So haben unsere Produkte die Neigung oder die Fähigkeit, in ihrer Grundanlage sowohl im Objekt wie auch im Wohnen ihre Berechtigung zu haben. Das heißt, diese Tendenz kommt uns eigentlich entgegen und wir müssen nichts dafür tun, weil unsere Produkte in dieser hybriden Struktur bereits zuhause sind.
Sehen Sie sich bei dem Versuch, bewährte Klassiker an die heutigen Anforderungen anzupassen, mit Herausforderungen konfrontiert?
Ja, und zwar insofern, als dass es darum geht, dass wir ein Produkt anfassen, das teilweise 100 Jahre oder bereits 150 Jahre im Markt ist und die Zeit, in der die Produkte entstanden sind, natürlich auch gewisse Spuren hinterlassen hat. Daher müssen wir uns mit einem großen Respekt und einer Hochachtung für das Produkt sowie einer Untersuchung der Denkwelt der damaligen Zeit beschäftigen und teilweise im Prozess herausfinden, dass bestimmte Dinge mit diesem Produkt nicht möglich sind, weil wir dann gegen seine Natur verstoßen würden. Und insofern würde ich sagen, ist die größte Herausforderung wahrscheinlich zu akzeptieren, dass wir manche Dinge nicht tun können.
Wie schaffen Sie es dabei, das authentische Thonet Design beizubehalten?
Auch da geht es wieder darum - ich beziehe es jetzt auf das Thema Klassiker verändern - Klassiker zu wandeln und sie auf heutige Bedürfniskulturen zu übertragen. Auch da geht es sehr, sehr stark darum, sich mit dem Produkt, seiner Kultur, seiner Haltung, seiner DNA auseinanderzusetzen. Weil die Gestalter, die das Produkt originär entwickelt haben, ja nicht mehr da sind. Das heißt, man muss sich mit deren Denkmodellen, mit deren Haltungen auseinandersetzen und sich auch die Frage stellen: Wenn das damals so war, wie könnte es dann sein, dass sie es heute interpretieren würden? Und über diese Auseinandersetzung, über diesen Respekt, den man dem Entwurf auf der Ebene entgegenbringt, schafft man es, die Kultur des Produkts auch beizubehalten.
Um am Ende nochmals auf den Bedürfniswandel bei den Kunden zu sprechen zu kommen: Welchen Stellenwert hat Individualisierbarkeit bei Thonet eingenommen?
Individualisierung ist immer wieder ein Thema. Ich würde sie ähnlich stark im Wohnen wie auch im Objekt ansehen, denn wenn es um Oberflächen und Ähnliches geht, ist Individualisierbarkeit ein relativ gleich starker Faktor. Wenn ich die Zahlen anschaue, interpretiere ich es so, dass Individualisierung ein kontinuierliches Bedürfnis ist, aber prognostiziert für die Zukunft ein Potenzial für Mehr hat.
Man kann das glaube ich in anderen Bereichen schon jetzt erkennen, wenn man in gewisse Vintage-Bereiche und Ähnliches hineinschaut. Da ist eine gewisse Sättigung am Standard vorhanden, der dann mit dem Bedürfnis nach etwas Besonderem begegnet wird. Damit wird eigentlich die Sicherheit eines starken Produkts, eines Klassikers genommen, den ich aber dann nach meinen sehr persönlichen und individuellen Vorlieben verändern kann. Das Große oder das Wichtige daran für uns als Unternehmen, und vielmehr sogar für den Kunden ist, dass der Wert seines Lieblingsstückes nicht durch die Individualisierung reduziert, sondern vielmehr verstärkt wird und das Produkt dadurch eher noch persönlicher und zeitgemäßer wird.
Diese Leistung bringen viele von den Produkten, die wir heute als Klassiker bezeichnen. Hier kommt das Stichwort „strukturelle Signifikanz“ zum Tragen. Das bedeutet, dass die Substanz und Struktur des Produktes die Identität des Produktes bilden und Hinweise auf das Denkmodell geben, wie das Produkt entstanden ist. Dazu gehören Technologie, kulturelle Einflüsse usw. Daraus ist eine Struktur geworden, die ich auf der einen Seite durch die Zeit bewegen und auf der anderen Seite individualisieren und nach spezifischen Wünschen ausrichten kann, ohne dass ich dabei den Charakter des Produkts verrate. Das Bedürfnis nach Individualisierung ist also da, aber es ist wichtig, dass das Produkt auch stark genug ist, um dieses Bedürfnis zu erfüllen.
Thonet - gelebte Werte
Seit 1819 produziert Thonet hochwertige Möbel und ist damit eines der ältesten familiengeführten Unternehmen der Welt innerhalb der Designbranche. Ein ausgeprägter Innovationsdrang, der Einsatz von bahnbrechenden Technologien und herausragendes Design sind die Eckpfeiler, auf denen Thonet seinen andauernden Erfolg seit über 200 Jahren gründet.
Die bekannten Klassiker aus Bugholz, wie der 214 Kaffeehausstuhl und aus Stahlrohr, wie der S32 Freischwinger werden stetig in neuen Editionen weiterentwickelt und bleiben so immer am Puls der Zeit. Dazu arbeitet Thonet mit zahlreichen namhaften nationalen und internationalen Designern zusammen.