Eine Architektur-Ikone
In Südfrankreich, an der Côte d’Azur unweit des Mittelmeer steht sie – die strahlend weiße Villa E.1027. Ein Ort, der Architekturgeschichte schrieb und an dem Eileen Gray einen Meilenstein des modernen Designs geschaffen hat. Das auffällige Bauwerk ist nicht nur das erste der einflussreichen Designerin, sondern auch ihr Vermächtnis.
Gray hatte als Studentin die Slade School of Fine Arts in London besucht und reiste 1900 mit 22 Jahren zur Weltausstellung nach Paris. Dort saugte sie die vielfältigen Einflüsse aus Technik, Gesellschaft und Kultur geradezu auf und wurde auch in den Bann der französischen Hauptstadt gezogen, in der Art Nouveau und Japonismus zu dieser Zeit en vogue waren. Das zeigte sich auch in Grays Entwürfen, wie z.B. dem bekannten Drachensessel.
Anfang 1920 lernte Eileen Gray den jungen Architekten und Intellektuellen Jean Badovici kennen. Zwischen der knapp 50 Jahre alten Designerin und dem 15 Jahre jüngeren Badovici entwickelte sich eine Beziehung. Und er war es auch, der Gray für die aufkommende Moderne mit ihren klaren Formen und in der Summe auch für die Architektur begeisterte.
So kauft Gray 1926 im Namen von Badovici ein Grundstück an der Côte d’Azur. Er lässt ihr bei ihren Skizzen und Modellen freie Hand und so entwirft Gray ein Gebäude, das ihre Vorstellungen von Design, Architektur und Innenarchitektur perfekt eint.
Drei Jahre Bauzeit später strahlt die Villa E.1027 in ihrem
blendenden Weiß. Der Name des Hauses ist ein Code: E steht für den Vornamen der
Designerin – Eileen, 10, 2 und 7 sind die Positionen der Buchstaben J, B, und G
im Alphabet. J steht dabei für Jean, B für Badovici und das G für Gray.
Eine Grundfläche von 120 Quadratmetern, zwei Etagen, ein Grundriss in L-Form und ein Flachdach – minimalistisch und offen ist das moderne Gebäude gestaltet. Eine Öffnung im Dach flutet das Haus mit Sonnenlicht. Hohe faltbare Türen, die auch als Fenster fungieren, geben den Blick auf die wunderschöne Küstenumgebung frei. So entsteht ein einmaliges Zusammenspiel der weißen Hausfarbe mit dem tiefen Blau des Meeres und dem Grün der umgebenden Pflanzen.
Eileen Gray stellte die menschliche Erfahrung in den Fokus ihres Projekts und so ist in der ganzheitlichen Vorstellung der Designerin nicht nur die Architektur des Hauses selbst, sondern auch dessen Möblierung von Bedeutung. Mit vielfältig nutzbaren Möbeln unterstreicht Gray dabei ihren minimalistischen Designansatz. Viele der Entwürfe aus dem Grey House haben überdauert, so z.B. der Designklassiker E.1027 Adjustable Table aus Stahlrohr und Glas.
Nachdem sich Badovici und Gray 1932 trennen, fertigt der bekannte Architekt Le Corbusier mit der Zustimmung von Badovici sieben Wandgemälde an, zwei davon an Außenwänden an. Gray sieht die Malerei als Affront gegen ihr Schaffen und betritt ihr architektonisches Vermächtnis, die Villa E.1027, nie wieder.
Neuer Glanz
Was bereits im zweiten Weltkrieg begann, wurde auch in den folgenden Jahren nicht besser – das einstige Architektur-Manifest begann stückweise zu verfallen. Rettung naht erst 1999 durch die Conservatoire du littoral – eine staatliche Einrichtung. Diese erwirbt das marode Gebäude und renovierte es bis ins Jahr 2015, so dass die Villa zum Jahresbeginn 2016 in neuem Glanz erstrahlt.
Und auch viele der Möbelentwürfe von Eileen Gray werden heute in Re-Editionen wieder aufgelegt. Das Münchner Unternehmen ClassiCon erwarb die Lizenz für einige der beliebtesten Stücke, wie den bereits erwähnten Beistelltisch oder auch den Bibendum Sessel, dessen Original einst auch in der Villa E.1027 stand.
Die sehr offene, lichtdurchflutete und für damals äußerst revolutionäre Architektur begeistert auch heute noch. Neben dem tollen Inneren kann man vor allem die traumhafte Lage der Villa direkt an Küste an der Cote d’Azur sowie die wunderschöne, unverbaute Aussicht vom Haus aus direkt auf das Meer genießen.
Grande Dame der Moderne: Eileen Gray
Eileen Gray wurde als eine der wenigen Frauen für ihre Möbeldesigns des frühen 20. Jahrhunderts berühmt. Als Spross einer irisch-schottischen Adelsfamilie ging sie zum Studium der Architektur und des Designs nach London und Paris – ihre Wahlheimat. Dort lässt sie sich mit 26 Jahren nieder. Fast wie von allein wird hier aus der Kunststudentin Eileen die produzierende Kunsthandwerkerin. Eine schillernde, vielfach begabte, moderne Frau. Avantgardistin durch und durch.
Doch muss man Gray als Talent im Untergrund betiteln, als Geheimtipp. Kommerziellen Erfolg hat sie jahrelang nicht erlebt – erst kurz vor ihrem Tod. Mit ihren einflussreichen Design- und Architekturtheorien prägte sie dennoch unsere Vorstellung vom Wohnen. Ihr Schaffen in beiden Bereichen ist bis heute Sinnbild für die Klassische Moderne und war geprägt von De Stijl, Originalität und einer Prise Ironie.
Als Innenarchitekten richtete Gray spektakuläre Räume für Modemacher und Kunstsammler ein – in der damals aktuellen orientalischen und fernöstlichen Mode, doch mit erkennbar eigener Handschrift: lasziv und voller Raffinesse. Grays Möbel aus Stahlrohr, Chrom und Glas – zu Zeiten ihrer Entstehung revolutionär – gelten bis heute als Klassiker. Man denke nur an den Bibendum Sessel oder ihren Adjustable Table, eines der bekanntesten und meistkopierten Designs der Welt.